Volksbank Allgäu-West | Mitgliederzeitung 02/13 - page 14

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Interview
Interview mit Dr. h.c. Helmut Maucher
„Das Leben auf dem Dorf
hat mich geprägt“
Helmut Maucher, Jahrgang 1927,
hat sich von seiner Heimat Eisenharz
und von seiner Ausbildung bei der
dortigen Käserei bis zur Spitze des
Schweizer Nestlé-Konzerns hochge-
arbeitet. Von 1980 bis 1997 leitete
er die Geschicke des Konzerns, der
heute mit 468 Produktionsstätten in
86 Ländern aktiv ist. Im Interview mit
der Mitgliederzeitung spricht er über
Werte, die genossenschaftliche Idee
und die Verbindung zur Heimat.
Herr Maucher, Sie haben 1948 in Eisen-
harz bei der dortigen Käserei Ihre Lehre
begonnen. Was haben Sie aus dieser Zeit
auf Ihre Reise von ganz unten hinauf bis
zur Nestlé-Spitze mitgenommen?
Das erste einschneidende Erlebnis war
für mich die Aufgabe, den Verkauf dieses
Betriebes, in dem bereits mein Vater gear-
beitet hatte, sozialverträglich zu gestalten.
Damals war ich bereits in der Deutschland-
Zentrale von Nestlé in Frankfurt und habe
für die Mitarbeiter in Eisenharz den ersten
Sozialplan mit der Gewerkschaft Nahrung,
Genuss, Gaststätten (NGG) überhaupt ge-
macht. Was ich menschlich aus meiner
Kindheit im Allgäu mitgenommen habe,
ist eine Sozialisation, die es so nur auf
dem Dorf gibt. Es war mir nicht in die
Wiege gelegt, dass ich Chef von Nestlé
werde. Aber die Tatsache, dass man im
Dorf jeden kannte, egal ob er gut oder
schlecht war, ob er in die Kirche geht oder
nicht, ob er sich an die Konventionen hält
oder nicht – das hat dazu geführt, dass
ich ein Gefühl dafür bekommen habe,
was gut und recht ist. Und das ist mir
ein Leben lang geblieben.
Reden Sie von Prinzipientreue?
Das Wort nehme ich nicht gerne in den
Mund. Ich habe gelernt, dass man Dinge
gemeinsam anpackt, dass man sich aufei-
nander verlassen können muss. Ich habe
gelernt, dass man Verantwortung für die
Gemeinschaft übernehmen muss. Natür-
lich haben diese Eigenschaften auch
etwas mit der Genetik und der Erziehung
zu tun. Und das Leben auf dem Dorf hat
mich zusätzlich geprägt. Vor allem hat es
dazu geführt, dass ich stets bodenständig
geblieben bin.
Inwiefern haben Nestlé und Maucher an
dieser Stelle zusammengepasst?
Das ist eine sehr interessante Frage. Und –
da ist etwas dran. Nestlé ist von Haus
aus realistisch, bodenständig und be-
scheiden, aber stets auch mit Stil und
ohne Tricksereien unterwegs. Diese Werte
waren schon da, bevor ich gekommen
bin. Und sie passen sehr gut zu mir, in
der Tat.
Der Unternehmensberater Fredmund Malik,
mit dem Sie jüngst gemeinsam ein viel
beachtetes Management-Buch veröffent-
licht haben, bezeichnet Nestlé als „das
einzige, wirklich weltweit aufgestellte
Unternehmen“. Wie kommt er darauf?
Nestlé kommt aus der Schweiz und
macht noch nicht einmal ein Prozent des
Umsatzes im eigenen Land. Der Konzern
ist weltweit die Nummer 1 und profi-
tiert zum einen von seiner vollkommenen
Internationalität, was die Strukturen an-
geht. Zum anderen sind die heimischen
Wurzeln und Werte aber wichtig. Im Zu-
sammenspiel aus beiden Elementen ent-
steht Erfolg, nicht aus der Internationali-
tät auf Kosten der eigenen Wurzeln. Das
ist der Unterschied zu vielen anderen
Unternehmen.
Sie wurden als erster Deutscher an die
Spitze eines Schweizer Mega-Konzerns
gewählt. Das ist nicht selbstverständlich…
Ich glaube, die dachten, ich kann das.
Und – das stimmte ja auch. Ich bin auf
keinem Gebiet ein Einstein. Aber ich habe
die zwölf bis 15 Talente, die man offen-
bar braucht, um ein Unternehmen füh-
ren zu können. Es ist nicht die Stärke,
die Intelligenz, die Kraft, die Erfahrung
und so weiter. Es ist alles zusammen!
Diesen Mix findet man heute leider immer
seltener.
In Ihrem Buch ist auch eine gehörige
Portion Gesellschaftskritik enthalten.
Warum hat man Ihnen so lange nicht
zugehört, als Sie vor Fehlentwicklungen
durch „Shareholder Value“ und Gewinn-
maximierung als oberstes Unternehmens-
ziel gewarnt haben?
Man hat mir immer zugehört, wenn ich
in einem Saal war. Aber der Zeitgeist war
in der Tat gegen mich. Gewisse Dinge,
die ich schon immer vertreten habe, wie
zum Beispiel die Kritik an der kurzfristigen
Gewinnmaximierung, sind heute präsenter
als noch vor wenigen Jahren. Aber leider
nur in der Diskussion – an den Verhal-
tensweisen hat sich wenig bis nichts
geändert. Das hat auch etwas mit den An-
reizsystemen zu tun. Manche Menschen
werden durch materialistische Werte an-
getrieben, andere wollen in ihrem Job et-
was bewegen. Mir war es immer wichtig,
die gestellten Aufgaben zu erledigen. Und
ich bin dadurch weitergekommen.
Wie stehen Sie zur genossenschaftlichen
Idee?
Genossenschaften sind nicht umsonst
weltweit erfolgreich. Die Idee, demokra-
tisch mit teilhabenden Mitgliedern zu wirt-
schaften, ist eine der großen Errungen-
schaften der Germanen.
Trotz Ihres weltweit anerkannten Erfolges
sind Sie Ihrer Heimat immer verbunden
geblieben…
Das stimmt. Ich habe meine Heimat nie
vergessen. Meine Frau kommt aus Wang-
en. Ich bin Ehrenbürger in Eisenharz, es
gibt eine Stiftung, die meinen Namen
trägt und ich verbringe den Sommer
gerne hier im Jägerhof. Auch wenn ich
in Frankfurt lebe, ist das Allgäu noch
immer meine Heimat.
Dr. h.c. Helmut Maucher
Ehrenpräsident der Nestlé AG, Vevey
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